Wer noch nie vom "Goldenen Handschuh" gehört hat, der kann ihn nun im Kino kennenlernen. Fatih Akins drastische Verfilmung von Heinz Strunks Roman bringt die abgründige Welt des Frauenmörders Fritz Honka auf die Leinwand. In Hamburg aber braucht die Kiez-Kneipe eigentlich keine weitere Werbung. Hier kennt sowieso fast jeder die Geschichte vom Honka, der in den 70er-Jahren in dem Schuppen nahe der Reeperbahn seine späteren Opfer kennenlernte. Und für alle, die eine Erinnerungsstütze brauchen, prangt ein Schild mit der Aufschrift "Honka-Stube" direkt über dem Eingang wie eine makabre Auszeichnung.
Eine Kiez-Institution war der "Goldene Handschuh" strenggenommen schon vor dem Honka, denn gegründet wurde er in den 50er-Jahren von Herbert Nürnberg, immerhin zweimaliger Box-Europameister im Leichtgewicht – daher auch der Kneipenname. Heute betreiben seine Enkel den Handschuh, der immer noch eine ganz spezielle Atmosphäre versprüht.
Aber was ist noch dran am Mythos, die abgewrackteste Lokalität am Kiez zu sein? Wir haben in der stern-Redaktion herumgefragt, wer sich schon mal in die Honka-Stube getraut hat – und was er dort erlebt hat. Ein Kollege, der schon in den 80ern dort einkehrte, weigerte sich zwar standhaft von seinen unrühmlichen Abenteuern im Handschuh zu berichten. Andere haben ihre Storys aufgeschrieben.
Der "Goldene Handschuh" ist zwar die erste Kneipe, die man passiert, wenn man von der Reeperbahn in die Partystraße "Hamburger Berg" einbiegt, trotzdem bin ich dort immer lieber schnellen Schrittes vorbeigegangen. Nur einmal, vor ein paar Jahren, habe ich mich von einem Kumpel dort hereinziehen lassen. Wir lümmelten vor der legendären Juke-Box herum und kippten Bier und Korn im Stehen. Die Sitzplätze waren von Stammgästen besetzt, von denen einige so aussahen, als hätten sie Honka noch persönlich erlebt. Ein Typ pennte mit dem Kopf auf dem Tisch.
Wir waren keine fünf Minuten da, als am Tisch in der Ecke ein großes Gekreische ausbrach. Eine verlebte Frau, die irgendwas zwischen 50 und 70 Jahre alt sein musste, bekam sich mit einem nicht gerade zimperlich aussehenden Typen in die Haare. Worum es ging, konnten wir aus den ausgestoßenen Flüchen nicht heraushören, wir waren nur überrascht, dass die Frau bei der Schlägerei die Oberhand behielt. Nachdem einige heftige Fausthiebe ausgetauscht waren, beruhigte sich die Szene wieder und die Streithähne tranken weiter als sei nichts geschehen. Daniel Bakir
Ich zog 2006 nach Hamburg. Ein Kumpel, der schon einige Zeit hier lebte, hatte ein Faible für sogenannte Gardinenkneipen. Und der "Goldene Handschuh" war einer seiner Lieblingsläden. Weil wir beide eh auf St. Pauli lebten, ging ich dann und wann auf ein Feierabendbier mit. Meist saßen wir am Tresen, wo vor allem mein Freund meist sofort mit irgendwem ins Gespräch kam. An einem Abend setzten wir uns aber nach hinten an einen der Tische, weil vorne alles belegt war. Zu uns gesellte sich ein weiterer Gast: männlich, irgendwo Ü60, beachtlicher Bart, beachtlicher Bauch. Er hatte schon einiges intus. Es wurde denn auch recht lustig. Wir spendierten unserem Tischgast einige Biere, er erzählte im Gegenzug Schwänke aus seiner Zeit auf See und weitere Episoden aus seinem Leben. Dass sich davon vieles widersprach – geschenkt. Es war unterhaltsam und so stießen wir Runde um Runde mit ihm an.
Irgendwann ging mein Freund zum Pinkeln auf die Toilette. Als er wiederkam und sich zurück an den Tisch setzen wollte, raunzte unser neugewonnener Trinkkumpan ihn an: "Wer bist du denn? Was willst du hier? Ich sitz' hier mit meinem Kumpel. Sieh zu, dass du wegkommst." Verdattert entgegnete mein Kumpel, dass er doch nur kurz auf dem Klo gewesen sei. Aber der Bärtige bleib unerbittlich: "Willst du mich verarschen? Ich hab dich noch nie gesehen. Verpiss dich." Dem fragenden Blick meines Freundes konnte ich nur achselzuckend begegnen. Wir sind dann gegangen. Patrick Rösing
Wir waren vorgewarnt. Aus Heinz Strunks gleichnamigem Buch hatten mein Kumpel Andy und ich einiges über den "Goldenen Handschuh" erfahren. Aber die Geschichte lag weit zurück, es waren die wilden 70er-Jahre. Da sah die Welt auf St. Pauli noch anders aus. Jetzt erwarteten wir eine abgerockte Kaschemme mit einem etwas raueren Charme. Einen Laden, wie es sie links und rechts der Reeperbahn gibt.
Und zunächst schienen sich unsere Erwartungen zu bestätigen. Laute Volksmusik, ein paar kaputte Gestalten, entspannte Atmosphäre. Nichts Ungewöhnliches. Dachten wir, und setzten uns an den Tisch direkt neben der Eckbank und tranken in Ruhe unser Bier. Bis wir den Schreck unseres Lebens bekamen: Von der Bank hinter dem Ecktisch, wo eigentlich niemand saß, erhob sich eine Gestalt. Eine Frau hatte hier ihren Rausch ausgeschlafen. Nun war sie wach und wollte wieder arbeiten gehen. Dann überlegte sie es sich anders und legte sich doch noch eine Runde aufs Ohr. Die Heinz-Strunk-Welt der 70er-Jahre war doch nicht ganz verschwunden. Carsten Heidböhmer
Mitte der 90er-Jahre ist meine damalige Freundin auf den Kiez gezogen. Es war die Zeit, als sich St. Pauli langsam aus dem Würgegriff der Gewalt befreite, es gab spottbillige Altbauwohnungen und einige miese Spelunken waren plötzlich der heiße Scheiß. Der "Goldene Handschuh" gehörte nicht dazu. Er war, wie schon zu Zeiten Fritz Honkas, ein heruntergekommenes 24-Stunden-Loch, dem wir selbst mit viel Ironie nichts abgewinnen konnten. Wie auch nicht den direkten Nachbarn: Elbschlosskeller, Rodeo und später das KFC an der Ecke zur Reeperbahn.
Aber natürlich sind wir eines Abends dort gelandet, irgendwann Anfang der 2000er. Es war so spät oder früh, dass viele Läden schon geschlossen waren, und wir diesen Abend ausnahmsweise mal nicht im "Blauen Peter IV" oder im "Sorgenbrecher" beenden wollten. Drinnen gab es keine Überraschungen: Es roch nach Kippen, Schnaps und Pisse. Die meisten Gäste sahen aus wie Nasen-Ernie, Doornkaat-Max und Soldaten-Norbert, nur ihr Ton war etwas milder als gedacht. Wie bestellten ein paar Bier, lümmelten unangenehm berührt am Fenster herum – so fremd uns das Stammpublikum war, so fremd waren wir ihnen – trotz oder weil der eine oder andere Nachbar darunter war.
Action gab es dann auch. Allerdings gegenüber im "Lucky Star" auf der anderen Straßenseite. Wir starrten ermattet aus dem Fenster, als drüben plötzlich die Tür aufflog, jemand stolperte halb heraus, halb rannte er. Bog nach rechts Richtung Simon-von-Utrecht-Straße ab und Augenblicke später erschienen zwei weitere Typen an der Tür, einer hielt ein Messer in der Hand. Später tauchte die Polizei im "Goldenen Handschuh" auf und fragte uns, ob wir etwas gesehen hätten. Obwohl der Vorfall nur wenige Minuten her war, herrschte bereits Uneinigkeit darüber, in welche Richtung der Typ nun weggelaufen war. Ich glaube, hilfreich war dieser Abend für niemanden. Niels Kruse
Als ich vor elf Jahren in der "schönsten Stadt der Welt" (Zitat: ungefähr jeder Moderator von Radio Hamburg, ständig) landete, feierten meine Freunde und ich regelmäßig in den Bars am Hamburger Berg: "Lunacy," "Lucky Star", "Ex-Sparr", "Nachtlager," "Rosi’s Bar", "Roschinsky’s" und wie sie alle hießen und teilweise heute noch heißen. Nur zwei Läden waren tabu: der "Elbschlosskeller" und, direkt gegenüber, der "Goldene Handschuh".
Die beiden Absturzkneipen pflegten damals noch einen derart asozialen Ruf, dass sie eine ganz andere Klientel anzogen als mittzwanzigjährige Partytouristen wie uns. Auch die Hartgesottenen unter meinen Jungs hatten deshalb zu viel Respekt, dort einzukehren. Jedes Mal, wenn wir am "Handschuh" vorbeischlichen, erhaschten wir bloß einen verstohlenen Blick in den amtlich verqualmten Laden. Viel los war nie, und irgendwann fragten wir uns, wie schlimm es schon sein konnte.
Also wagten wir uns eines Samstagabends todesmutig an die Theke und stellten schnell fest, dass es dort auch nicht anders zugeht als in den anderen alten Kneipen von St. Pauli, die es heute kaum noch gibt: Der Wirt plauderte mit uns freundlich in knappen Sätzen, eine ältere Frau schnorrte eine Zigarette und sang mir zum Dank ein Lied von Roland Kaiser, die beiden Tresenvögel neben uns starrten stumm in ihr Bier. Kein Vergleich zum Halligalli in den benachbarten Partyschuppen, aber dafür eine fast schon entspannte Alternative. Ich weiß, dass sich diese Erfahrung nicht unbedingt mit denen meiner Kollegen deckt. Aber auch deshalb ist der "Handschuh" ein Mythos, der bis heute nicht totzukriegen ist: Weil wir alle vorher dasselbe Klischee von ihm im Kopf haben. Aber wenn wir erst mal da waren, nimmt am Ende doch jeder von uns seine eigene kleine Geschichte mit. Tim Sohr
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